Stellen Sie sich vor, ein Stern – ähnlich unserer Sonne – gerät auf seiner Bahn zu nah an ein gigantisches schwarzes Loch. Was dann geschieht, klingt wie Science-Fiction, ist aber erschreckende Realität: Das schwarze Loch verschlingt Stern für Stern in einem spektakulären kosmischen Drama, das Astronomen weltweit fasziniert. In einer Nachbargalaxie, etwa 600 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt, haben Forscher nun ein solches Ereignis beobachtet – und die Aufnahmen liefern uns einzigartige Einblicke in die gewaltigsten Kräfte des Universums.
Diese sogenannten Tidal Disruption Events, kurz TDEs, sind rare kosmische Ereignisse, die sich pro Galaxie nur etwa alle 10.000 bis 100.000 Jahre ereignen. Wenn ein schwarzes Loch einen Stern verschlingt, setzt es Energiemengen frei, die ganze Galaxien für Monate überstrahlen können. Die wissenschaftliche Bedeutung dieser Beobachtungen kann kaum überschätzt werden, denn sie ermöglichen es uns, die Eigenschaften supermassereicher schwarzer Löcher zu erforschen und grundlegende Fragen der Astrophysik zu beantworten.
Was passiert, wenn ein schwarzes Loch einen Stern verschlingt?
Der Prozess, bei dem ein schwarzes Loch einen Stern verschlingt, läuft in mehreren dramatischen Phasen ab. Zunächst gerät der Stern auf eine ungünstige Bahn und nähert sich dem Schwerkraftgiganten bis zur sogenannten Gezeitenradius-Grenze. Dieser kritische Punkt liegt dort, wo die Gezeitenkräfte des schwarzen Lochs stärker werden als die eigene Schwerkraft des Sterns, die ihn zusammenhält.
Die Folgen sind katastrophal: Der Stern wird buchstäblich in die Länge gezogen und zerrissen – ein Effekt, den Astrophysiker als „Spaghettifizierung“ bezeichnen. Diese plastische Beschreibung trifft den Kern der Sache: Der Stern wird zu langen, dünnen Materieströmen auseinandergezogen, ähnlich wie Spaghetti. Etwa die Hälfte der Sternmaterie wird dabei in einer hochelliptischen Bahn um das schwarze Loch geschleudert, während die andere Hälfte mit enormer Geschwindigkeit ins All katapultiert wird.
Die verbleibende Materie formt eine sogenannte Akkretionsscheibe – eine rotierende Scheibe aus Sterntrümmern, die das schwarze Loch wie ein leuchtendes Band umgibt. Durch die extreme Reibung innerhalb dieser Scheibe heizt sich das Material auf Millionen Grad auf und beginnt intensiv im Röntgen- und UV-Bereich zu strahlen. Diese Strahlung ist so hell, dass sie für Monate oder sogar Jahre das Licht aller Sterne der Wirtsgalaxie überstrahlen kann – ein kosmischer Leuchtturm, der über Hunderte Millionen Lichtjahre hinweg sichtbar ist.
Supermassereiche schwarze Löcher: Die Monster im Galaxienzentrum
Fast jede große Galaxie im Universum beherbergt in ihrem Zentrum ein supermassereiches schwarzes Loch. Diese Schwerkraftgiganten bringen es auf unvorstellbare Massen zwischen einer Million und mehreren Milliarden Sonnenmassen. Zum Vergleich: Das schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße, bekannt als Sagittarius A*, hat „nur“ etwa 4,1 Millionen Sonnenmassen – und ist damit noch eines der kleineren Exemplare.
Die genaue Entstehung dieser kosmischen Monster ist bis heute nicht vollständig geklärt. Vermutlich bildeten sie sich bereits in der Frühzeit des Universums aus kollabierenden Gaswolken oder den Überresten der ersten, extrem massereichen Sterne. Von dort an wuchsen sie kontinuierlich, indem sie Gas, Staub und gelegentlich ganze Sterne verschlangen. Besonders bei Galaxienverschmelzungen, wenn zwei Galaxien mitsamt ihren zentralen schwarzen Löchern kollidieren, können diese Objekte rasant an Masse zunehmen.
Die Beziehung zwischen schwarzen Löchern und ihren Wirtsgalaxien ist eng und komplex. Astronomen haben herausgefunden, dass die Masse eines zentralen schwarzen Lochs direkt mit der Masse des galaktischen Bulges – der zentralen Verdickung einer Spiralgalaxie – korreliert. Dies deutet darauf hin, dass schwarze Löcher und Galaxien gemeinsam evolviert sind und sich gegenseitig beeinflussen. Durch ihre intensive Strahlung während aktiver Phasen können schwarze Löcher sogar die Sternentstehung in ihrer Wirtsgalaxie regulieren oder sogar komplett unterbinden.
Tidal Disruption Events: Wenn Sterne dem schwarzen Loch zu nahe kommen
Der Fachbegriff für das Phänomen, bei dem ein schwarzes Loch Stern für Stern verschlingt, lautet Tidal Disruption Event – auf Deutsch Gezeitenstörungsereignis. Diese Bezeichnung beschreibt präzise, was geschieht: Die extremen Gezeitenkräfte in der Nähe des schwarzen Lochs zerreißen den Stern.
Theoretisch vorhergesagt wurden diese Ereignisse bereits in den 1970er und 1980er Jahren von Pionieren wie J.G. Hills, Juhan Frank und Martin J. Rees. Doch erst mit modernen Weltraumteleskopen wie dem Hubble Space Telescope, dem James Webb Teleskop und Röntgensatelliten gelang es, diese seltenen kosmischen Katastrophen tatsächlich zu beobachten und zu dokumentieren.
Die Seltenheit dieser Ereignisse macht ihre Erforschung besonders wertvoll. Mit etwa 60 beobachteten TDEs bis heute verfügen Astronomen über eine relativ kleine Datenbasis – besonders im Vergleich zu den Hunderten von Supernovae, die jährlich entdeckt werden. Jedes neue Ereignis liefert daher wertvolle Erkenntnisse über die Physik schwarzer Löcher, die Eigenschaften zerrissener Sterne und die Dynamik von Akkretionsprozessen.
Ein besonders faszinierendes Detail: Nicht alle Sterne, die einem schwarzen Loch zu nahe kommen, werden sofort komplett verschlungen. Manchmal überlebt ein Stern die erste Begegnung und verliert nur Teile seiner äußeren Schichten. In solchen Fällen kann es zu wiederkehrenden Ausbrüchen kommen, wenn der Stern auf seiner elliptischen Bahn immer wieder dem schwarzen Loch nahekommt und bei jedem Vorbeiflug weitere Materie verliert. Eines dieser wiederkehrenden Ereignisse wurde vom Röntgenteleskop eROSITA entdeckt und zeigte Ausbrüche in einem Rhythmus von etwa 223 Tagen.
Wie Astronomen das Verschlingen von Sternen beobachten
Die Beobachtung eines schwarzen Lochs beim Verschlingen eines Sterns erfordert modernste Teleskoptechnologie und internationale Zusammenarbeit. Der Prozess beginnt meist mit automatisierten Himmelsdurchmusterungen, die nach plötzlichen Helligkeitsausbrüchen in ansonsten unscheinbaren Galaxien suchen. Wenn ein solcher „Flare“ entdeckt wird, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.
Verschiedene Teleskope müssen koordiniert werden, um das Ereignis in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen zu erfassen. Röntgenteleskope wie Chandra oder XMM-Newton fangen die hochenergetische Strahlung der heißen Akkretionsscheibe ein. UV-Teleskope wie der Galaxy Evolution Explorer (GALEX) beobachten die intensive ultraviolette Emission. Optische Teleskope wie das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte verfolgen die sichtbare Lichtkurve über Monate hinweg. Und Radioteleskope wie das Very Large Array (VLA) detektieren möglicherweise Jets – hochenergetische Teilchenströme, die mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aus der unmittelbaren Umgebung des schwarzen Lochs geschleudert werden.
Die wissenschaftliche Auswertung dieser Daten ist komplex und zeitaufwendig. Aus der Lichtkurve – der zeitlichen Entwicklung der Helligkeit – können Astronomen die Masse des schwarzen Lochs abschätzen. Die spektrale Analyse verrät die chemische Zusammensetzung des zerrissenen Sterns. Und die zeitliche Entwicklung der verschiedenen Emissionslinien gibt Aufschluss über die Geometrie der Akkretionsscheibe und die Dynamik des Materieeinfalls.
Ein Durchbruch gelang Forschern mit der Beobachtung des TDE AT2019qiz, das nur 215 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt stattfand – relativ nah in kosmischen Maßstäben. Dieses Ereignis wurde als erstes seiner Art so früh nach dem Zerreißen des Sterns entdeckt, dass Astronomen den gesamten Prozess vom Anfang bis zum Ende verfolgen konnten. Die Beobachtungen enthüllten, dass das schwarze Loch während des Verschlingens einen mächtigen Materialausfluss mit Geschwindigkeiten von bis zu 10.000 Kilometern pro Sekunde erzeugt – dieser „Vorhang“ aus Trümmern hatte zuvor oft die Sicht auf das zentrale Geschehen versperrt.
Die Physik hinter dem kosmischen Verschlingen
Die Physik, die am Werk ist, wenn ein schwarzes Loch einen Stern verschlingt, ist faszinierend komplex und berührt fundamentale Aspekte der Relativitätstheorie und der Astrophysik. Der kritische Parameter ist der sogenannte Gezeitenradius, bei dem die Gezeitenkräfte des schwarzen Lochs die Selbstgravitation des Sterns übersteigen.
Dieser Radius lässt sich mathematisch berechnen und hängt sowohl von der Masse des schwarzen Lochs als auch von den Eigenschaften des Sterns ab. Interessanterweise können extrem massereiche schwarze Löcher – solche mit mehr als 100 Millionen Sonnenmassen – einen Stern verschlucken, ohne ihn vorher zu zerreißen. Der Grund: Bei solch gewaltigen Massen liegt der Ereignishorizont des schwarzen Lochs außerhalb des Gezeitenradius. Der Stern wird also komplett verschlungen, bevor die Gezeitenkräfte ihn auseinanderreißen können – und es entsteht kein beobachtbarer Lichtausbruch.
Die Akkretionsrate – also die Rate, mit der Sternmaterial auf das schwarze Loch zurückfällt – ist ein weiterer entscheidender Parameter. Numerische Simulationen und analytische Modelle versuchen, diese Rate präzise zu berechnen. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass die Spitzenzeit der Akkretion überraschend unabhängig von den Eigenschaften des zerstörten Sterns ist und bei etwa 50 Tagen liegt für einen sonnenähnlichen Stern, der von einem schwarzen Loch mit der Masse von Sagittarius A* verschlungen wird.
Besonders spannend ist die Entstehung von Jets – gebündelten Teilchenströmen, die mit fast Lichtgeschwindigkeit aus der Umgebung des schwarzen Lochs geschossen werden. Diese Jets sind nicht bei allen TDEs zu beobachten, aber wenn sie auftreten, sind sie spektakulär. Die Mission Swift entdeckte 2011 mit Swift J1644+57 das erste TDE, das einen relativistischen Jet aussendete – ein Ereignis, das die theoretischen Modelle von Tidal Disruption Events grundlegend veränderte.
Wiederkehrende Verschlingungsevents: Wenn Sterne überleben
Eine der überraschendsten Entdeckungen der letzten Jahre sind wiederkehrende Tidal Disruption Events. Bei diesen außergewöhnlichen Ereignissen überlebt ein Stern die erste Begegnung mit dem schwarzen Loch und wird nicht vollständig zerstört. Stattdessen verliert er nur einige Prozent seiner Masse – genug, um einen hellen Lichtausbruch zu erzeugen, aber nicht genug, um den Stern komplett zu vernichten.
Das europäische Röntgenteleskop XMM-Newton spielte eine Schlüsselrolle bei der Entdeckung dieser Phänomene. In zwei verschiedenen Galaxien – eine fast 900 Millionen Lichtjahre, die andere eine Milliarde Lichtjahre entfernt – beobachteten Astronomen wiederholte Helligkeitsausbrüche in regelmäßigen Abständen. Das Ereignis eRASSt J045650.3-203750, entdeckt vom eROSITA-Teleskop, zeigte Ausbrüche alle 223 Tage. Ein anderes wiederkehrendes TDE namens AT2018fyk demonstrierte ein ähnliches Muster.
Diese Beobachtungen haben wichtige Implikationen für unser Verständnis von schwarzen Löchern und Sternbahnen. Die Tatsache, dass sich solche Ereignisse wiederholen, bedeutet, dass der Stern auf einer stark elliptischen, aber gebundenen Bahn um das schwarze Loch kreist. Bei jedem Periastron-Durchgang – dem Punkt der größten Annäherung – gerät der Stern erneut innerhalb des Gezeitenradius und verliert weitere Materie an das schwarze Loch.
William Alston von der ESA erklärt die Bedeutung: „Diese neuen Beobachtungen sind unglaublich interessant für die Untersuchung des Einflusses supermassereicher schwarzer Löcher. Bei typischen Gezeitenstörungsereignissen erwarten wir erst in einigen tausend Jahren einen zweiten Flare. Da sich die Flares so schnell wiederholen, muss die Umlaufbahn des zerstörten Sterns eng an das supermassereiche schwarze Loch gebunden gewesen sein.“
Diese wiederkehrenden Events könnten auch erklären, wie einige supermassereiche schwarze Löcher so schnell wachsen können. Denn wenn Materie in mehreren Etappen zugeführt wird, statt in einem einzigen katastrophalen Ereignis, kann das schwarze Loch kontinuierlich „gefüttert“ werden und effizienter an Masse zunehmen.
Die Rolle von schwarzen Löchern in der galaktischen Evolution
Das Phänomen, bei dem ein schwarzes Loch Stern für Stern verschlingt, ist nicht nur ein spektakuläres kosmisches Schauspiel, sondern spielt auch eine fundamentale Rolle in der Entwicklung von Galaxien. Die Wechselwirkung zwischen schwarzen Löchern und ihrer Umgebung – das sogenannte „Feedback“ – beeinflusst maßgeblich, wie Galaxien wachsen, Sterne bilden und sich über Milliarden Jahre entwickeln.
Wenn ein schwarzes Loch aktiv Material akkretiert, egal ob durch das Verschlingen von Sternen oder durch den Einfall von Gas und Staub, setzt es enorme Mengen an Energie frei. Diese Energie manifestiert sich in Form von intensiver Strahlung und mächtigen Jets, die weit in die Galaxie hinein und sogar darüber hinaus reichen können. Die Strahlung ionisiert das interstellare Gas in der Umgebung und heizt es auf. Heißes, ionisiertes Gas kann nicht mehr zu neuen Sternen kollabieren – die Sternentstehung wird unterdrückt.
Dieser Mechanismus erklärt, warum massereiche elliptische Galaxien, die große zentrale schwarze Löcher beherbergen, oft kaum noch neue Sterne bilden. Das schwarze Loch hat im Laufe der Zeit so viel Energie freigesetzt, dass es die Sternentstehung effektiv abgeschaltet hat. Astronomen bezeichnen dies als „quenching“ – das Löschen der Sternentstehung.
Magnetfelder spielen ebenfalls eine wichtige Rolle beim „Füttern“ schwarzer Löcher. Beobachtungen mit Instrumenten wie dem Stratosphären-Observatorium SOFIA zeigten, dass Magnetfelder in Spiralgalaxien Gas und Staub entlang der Spiralarme zum Zentrum leiten können. In der Galaxie NGC 1097 beispielsweise führen großräumige Magnetfelder Materie zunächst zum inneren Starburst-Ring und von dort weiter zum zentralen schwarzen Loch.
Die langfristige Entwicklung von Galaxien und ihren zentralen schwarzen Löchern ist eng miteinander verwoben. Es besteht eine bemerkenswerte Korrelation zwischen der Masse des schwarzen Lochs und der Geschwindigkeitsdispersion der Sterne im Bulge der Galaxie – ein Hinweis darauf, dass beide gemeinsam gewachsen sind. Diese Koevolution ist eines der großen Rätsel der modernen Astrophysik.
Neueste Entdeckungen: Ein wanderndes schwarzes Loch
Eine der spektakulärsten Entdeckungen der jüngsten Zeit ist die Identifizierung eines wandernden supermassereichen schwarzen Lochs. Im Januar 2025 berichteten Astronomen über den neu identifizierten Tidal Disruption Event AT2024tvd, beobachtet mit dem Hubble Space Telescope. Das Besondere: Dieses schwarze Loch, das gerade einen Stern verschlingt, befindet sich nicht im Zentrum seiner Wirtsgalaxie, wo man es erwarten würde.
Das schwarze Loch mit einer Masse von etwa einer Million Sonnen liegt 2.600 Lichtjahre vom eigentlichen Galaxienzentrum entfernt – das ist nur ein Zehntel der Distanz zwischen unserer Sonne und dem Zentrum der Milchstraße. Im Zentrum der Wirtsgalaxie sitzt ein viel massereicheres schwarzes Loch mit 100 Millionen Sonnenmassen. Wie kam das kleinere schwarze Loch dorthin?
Die plausibelste Erklärung ist eine frühere Galaxienverschmelzung. Vor Milliarden von Jahren kollidierte die Wirtsgalaxie mit einer kleineren Galaxie, die ihr eigenes zentrales schwarzes Loch mitbrachte. Während die beiden Galaxien verschmolzen, wurden auch ihre schwarzen Löcher auf eine Kollisionsbahn gezwungen. Bei der Verschmelzung zweier schwarzer Löcher werden massive Gravitationswellen ausgesendet – Wellen in der Raumzeit selbst, die mittlerweile von Detektoren wie LIGO nachgewiesen werden können.
Wenn diese Gravitationswellen asymmetrisch abgestrahlt werden – etwa weil die schwarzen Löcher unterschiedliche Massen oder Rotationsraten haben – kann das resultierende verschmolzene schwarze Loch einen „Rückstoß“ erfahren. Dieser Gravitationswellen-Rückstoß kann so stark sein, dass das schwarze Loch mit Tausenden Kilometern pro Sekunde aus dem Galaxienzentrum geschleudert wird.
Dies ist das erste Mal, dass ein versetztes TDE identifiziert wurde. Von etwa 100 bisher registrierten TDEs waren alle anderen mit den zentralen schwarzen Löchern ihrer Galaxien assoziiert. Diese Entdeckung öffnet ein neues Fenster: Es könnte eine ganze Population von wandernden schwarzen Löchern im intergalaktischen Raum geben – Relikte vergangener Galaxienverschmelzungen, die einsam durchs All treiben.
Ausblick: Die Zukunft der TDE-Forschung
Die Erforschung von Ereignissen, bei denen ein schwarzes Loch Stern für Stern verschlingt, steht erst am Anfang. Mit neuen und leistungsfähigeren Teleskopen am Horizont werden Astronomen in den kommenden Jahren deutlich mehr dieser seltenen kosmischen Katastrophen entdecken und detaillierter untersuchen können.
Das James Webb Space Telescope, das seit 2021 in Betrieb ist, revolutioniert bereits die Infrarotastronomie und wird auch bei der Untersuchung von TDEs eine wichtige Rolle spielen. Seine enorme Empfindlichkeit im Infrarotbereich ermöglicht es, auch solche Ereignisse zu beobachten, die durch dichte Staubwolken im Galaxienzentrum verdeckt sind – ein häufiges Problem, das bisherige Beobachtungen erschwerte.
Das Vera C. Rubin Observatory, das 2025 seinen wissenschaftlichen Betrieb aufnimmt, wird mit seiner riesigen Kamera den gesamten sichtbaren Himmel alle paar Nächte durchmustern. Diese systematische Überwachung wird voraussichtlich Hunderte neuer TDEs pro Jahr entdecken – eine dramatische Steigerung gegenüber den derzeitigen Entdeckungsraten. Mit dieser größeren Datenbasis werden statistische Aussagen über die Häufigkeit, Eigenschaften und Vielfalt von TDEs möglich.
Die Gravitationswellen-Astronomie eröffnet eine völlig neue Dimension der Forschung. Während LIGO und Virgo bereits die Verschmelzung stellarer schwarzer Löcher nachgewiesen haben, werden zukünftige Detektoren wie LISA (Laser Interferometer Space Antenna) empfindlich genug sein, um die Gravitationswellen von verschmelzenden supermassereichen schwarzen Löchern zu detektieren. Diese Messungen werden uns ermöglichen, die Dynamik der Verschmelzung in bisher unerreichter Detailtiefe zu studieren.
Theoretische Fortschritte in der numerischen Simulation ergänzen die Beobachtungen. Moderne Supercomputer können mittlerweile die komplexen hydrodynamischen Prozesse beim Zerreißen eines Sterns und der anschließenden Akkretionsphase mit hoher Genauigkeit simulieren. Diese Simulationen helfen, die Beobachtungsdaten zu interpretieren und neue Vorhersagen zu machen, die dann experimentell überprüft werden können.
Ein besonders spannendes Zukunftsprojekt ist die Suche nach TDEs von intermediären schwarzen Löchern – schwarzen Löchern mit Massen zwischen einigen hundert und hunderttausend Sonnenmassen. Diese „mittelgewichtigen“ schwarzen Löcher sind das fehlende Bindeglied zwischen stellaren schwarzen Löchern und den supermassereichen Giganten in Galaxienzentren. Ihr Nachweis durch charakteristische TDE-Signaturen würde eine wichtige Lücke in unserem Verständnis der schwarzen Loch-Population schließen.
Zusammenfassung: Ein Fenster in die extremsten Bereiche des Universums
Wenn ein schwarzes Loch einen Stern verschlingt, gewährt uns das Universum einen seltenen Einblick in die extremsten physikalischen Bedingungen, die wir kennen. Diese kosmischen Katastrophen sind Labor-Experimente der Natur, bei denen Materie unter den gewaltigsten Gravitationskräften zerrissen, auf Millionen Grad erhitzt und mit nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird.
Die Beobachtung des jüngsten Ereignisses in 600 Millionen Lichtjahren Entfernung ist ein Meilenstein der modernen Astrophysik. Sie demonstriert, wie weit unsere technologischen Fähigkeiten gekommen sind und wie viel wir bereits über die fundamentalen Kräfte verstehen, die das Universum formen. Gleichzeitig erinnert sie uns daran, wie viel wir noch zu lernen haben.
Jedes neue TDE liefert einzigartige Informationen über die Eigenschaften schwarzer Löcher, die Dynamik von Akkretionsprozessen und die langfristige Evolution von Galaxien. Die wiederkehrenden Events zeigen uns, dass das Universum noch komplexer und vielfältiger ist, als wir dachten. Und die Entdeckung wandernder schwarzer Löcher deutet auf eine verborgene Population dieser kosmischen Monster hin, die im intergalaktischen Raum ihr Unwesen treiben.
In den kommenden Jahren werden neue Teleskope und verbesserte Beobachtungstechniken unser Wissen über diese spektakulären Ereignisse dramatisch erweitern. Wir stehen am Beginn einer goldenen Ära der TDE-Forschung, in der wir nicht nur mehr dieser Ereignisse entdecken, sondern sie auch in nie dagewesener Detailtiefe verstehen werden.
Die Botschaft ist klar: Das Universum ist ein Ort extremer Gewalt und atemberaubender Schönheit, wo schwarze Löcher Sterne verschlingen und dabei Licht aussenden, das Milliarden von Jahren durchs All reist, um uns von diesen fernen kosmischen Dramen zu erzählen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie oft verschlingt ein schwarzes Loch einen Stern?
In einer durchschnittlichen Galaxie ereignet sich ein Tidal Disruption Event etwa alle 10.000 bis 100.000 Jahre. Aufgrund der immensen Anzahl von Galaxien im beobachtbaren Universum können Astronomen jedoch regelmäßig solche Ereignisse in verschiedenen Galaxien beobachten. Bisher wurden etwa 60 TDEs wissenschaftlich dokumentiert.
Kann ein schwarzes Loch unsere Sonne verschlingen?
Nein, das ist äußerst unwahrscheinlich. Das nächste supermassereiche schwarze Loch, Sagittarius A* im Zentrum der Milchstraße, ist etwa 26.700 Lichtjahre von uns entfernt. Die Sonne umkreist das Galaxienzentrum auf einer stabilen Bahn mit einer Geschwindigkeit von etwa 220 Kilometern pro Sekunde. Es gibt keine Mechanismen, die die Sonne auf eine Kollisionsbahn mit dem schwarzen Loch bringen könnten.
Wie lange dauert es, bis ein Stern komplett verschlungen ist?
Der eigentliche Zerreiß-Prozess dauert nur wenige Stunden bis Tage. Die anschließende Akkretionsphase, in der die Sterntrümmer nach und nach ins schwarze Loch fallen, erstreckt sich über Monate bis Jahre. Die hellste Phase des Lichtausbruchs erreicht typischerweise ihren Peak nach etwa 50 Tagen und klingt dann über mehrere Monate exponentiell ab.
Was ist der Unterschied zwischen einem TDE und einer Supernova?
Bei einer Supernova explodiert ein massereicher Stern am Ende seines Lebens aufgrund interner Kernprozesse. Bei einem TDE wird ein Stern durch externe Gezeitenkräfte eines schwarzen Lochs zerrissen. Supernovae sind deutlich häufiger (mehrere pro Jahr in einer Galaxie) und heller als die meisten TDEs. Die Lichtkurven unterscheiden sich ebenfalls: Supernovae zeigen einen schnellen Anstieg und dann einen charakteristischen Abfall, während TDEs eine spezifische Potenzgesetz-Abnahme mit einem Exponenten von -5/3 zeigen.
Können wir ein TDE in unserer Galaxie beobachten?
Theoretisch ja, praktisch ist es sehr unwahrscheinlich in menschlichen Zeitskalen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten 100 Jahren ein TDE im Zentrum der Milchstraße stattfindet, liegt bei etwa 0,1%. Sollte es jedoch geschehen, wäre es ein spektakuläres Ereignis, das wir mit unseren Teleskopen in beispielloser Detailtiefe beobachten könnten.
Wie wird Materie eigentlich von einem schwarzen Loch verschluckt?
Entgegen der populären Vorstellung „saugt“ ein schwarzes Loch nicht aktiv Materie an. Stattdessen wirkt es durch seine enorme Masse wie jedes andere Gravitationszentrum. Materie, die dem schwarzen Loch zu nahe kommt und nicht genug seitliche Geschwindigkeit (Drehimpuls) besitzt, fällt spiralförmig hinein. Durch Reibung in der Akkretionsscheibe verliert die Materie allmählich Energie und Drehimpuls, bis sie schließlich den Ereignishorizont überschreitet – den Punkt ohne Wiederkehr.
Relevante Wikipedia-Artikel
| Eigenschaft | Details |
|---|---|
| Ereignistyp | Tidal Disruption Event (TDE) |
| Häufigkeit pro Galaxie | Alle 10.000 – 100.000 Jahre |
| Entfernung (aktuelles Ereignis) | ~600 Millionen Lichtjahre |
| Masse typischer schwarzer Löcher | 10⁶ – 10⁹ Sonnenmassen |
| Dauer der Akkretionsphase | Monate bis Jahre |
| Peak-Leuchtkraft | Bis zu 10⁴⁷ erg/s (10⁴⁰ W) |
| Schwarzkörpertemperatur | 0,04 – 0,12 keV (ca. 500.000 – 1.400.000 K) |
| Anzahl beobachteter TDEs | ~60 (bis 2025) |
| Typische Geschwindigkeit von Jets | ~99% der Lichtgeschwindigkeit |
| Abklingrate der Lichtkurve | Potenzgesetz mit Exponent -5/3 |
